Corona: Tausende Kinder lernen nicht schwimmen – NW vom 28.01.21

Artikel aus der Neuen Westfälischen vom 28.01.2021

Die Bielefelder Vereine gehen von etwa 2.000 Kindern aus, die seit März eigentlich hätten schwimmen lernen sollen – es nun aber nicht können. Eine Gefahr. Vor allem, wenn sich im Juli die Corona-Anspannung lösen sollte und alle in die Bäder, Seen und Meere springen.

Corona verursacht Probleme, die zunächst klein wirken. Und bei genauem Hinsehen groß werden. Beispiel Schwimmen. Unterricht in Schulen fällt seit langem mehr oder weniger komplett aus. In Vereinen sind die Kurse seit März überwiegend ausgefallen. Privaten Anbietern geht es ähnlich. 

Folge: „Ich rechne mit etwa 2.000 Kindern, die zum Sommer hin hätten schwimmen können, es nun aber nicht können“, sagt Karin Bültermann von den „Wasserfreunden Bielefeld“. Mit Blick auf einen Sommer 2021, der vielleicht wieder Baden im Meer, Badesee oder Freibad ermöglicht, sind diese 2.000 Kinder für Bültermann eine Mahnung an die Erwachsenenwelt: „Wir alle müssen nächsten Sommer besonders aufmerksam sein, denn es sind einfach viel mehr Kinder da, die nicht wirklich schwimmen können.“ Kinder, die sechs, sieben oder acht  Jahre alt sind – und oft finden, dass es cooler ist, ohne Schwimmflügel loszulegen; und sich damit in Gefahr begeben. „Eltern müssen knietief mit ins Wasser gehen, das geht nicht anders“, mahnt die erfahrene Schwimmlehrerin. 

Andreas Beste vom 1. Bielefelder Schwimmverein sieht das genauso. „Es gibt eine gefährliche Unsicherheit, da reicht imMeer schon eine Welle oder imFreibad einmal Döppen, um Kinder in Gefahr zu bringen.“ Beste: „Es reicht bei diesen Kindern nicht, am Meer am Strand zu stehen – nein, die Eltern müssen mit rein ins Wasser.“ Panik sei ein unterschätztes Problem. Er warnt vor Intensivkursen à la „Wir schaffen das in drei Wochen“ – das sei riskant, schwimmen müsse richtig gelernt werden. „Wir  bringen es jedem Kind so lange bei, bis es passt.“ Doch wo? Und wann? Schulterzucken. Lisa Wittwer vom Schwimmverein spricht von einer Warteliste, „die länger als ein Jahr ist“, Andreas Beste schildert dasselbe Szenario – und Karin Bültermann sagt: „Wir führen keine Warteliste mehr, das macht keinen Sinn und ist bei diesen Zahlen ein zu großer Aufwand.“ Alle betonen, dass auch Kinder, die schon angefangen hätten, wieder bei Null stünden – es ist bereits mehr als ein Jahr verloren worden. Und alle bestätigen, dass kein Land in Sicht ist. Denn: „Wir bekommen keine zusätzlichen Schwimmzeiten, es sind ja nicht mehr Bäder geworden“, so Beste. Der Stau lasse sich nicht aufholen, selbst wenn die Vereine mehr Schwimmlehrer organisierten, was denkbar sei. Ihn ärgert noch immer, dass die Vereine im Sommer 2020 nicht in Freibädern unterrichten durften. „Das war in Bielefeld ein Riesenreinfall, woanders wurde das möglich gemacht.“ Eltern würden die Stadt und die Bädergesellschaft seit langem auf dieses Problem hinweisen, „aber da rührt sich nichts“. Und so bleibt nur Frust und läuft alles auf einen hochproblematischen Sommer hinaus.

Bültermann, deren Verein mit der Josefschule kooperiert: „Die Lehrer fragen schon, was das denn werden soll – der Schwimmsport steht still, und bei Klassenfahrten reicht nicht einmal das Seepferdchen, um nur an einer Kutterfahrt teilzunehmen. “Vom Baden im Meer ganz zu schweigen. Bronze sei hier die Vorgabe. Und die Eltern könnten vieles nicht auffangen. „An der Josefschule haben 90 Prozent der Kinder Migrationshintergrund, und viele Mütter können selbst nicht schwimmen“, warnt sie davor, zu glauben, dass die Kinder das Schwimmen schon irgendwie lernen würden. 

Lisa Wittwer aus Dornberg: „Das alles lässt sich nicht einfach mal so aufholen.“ Zumal das Thema ja sehr früh beginne: So kehre auch die bereits überwundene Angst vor dem Wasser bei Kleineren wieder zurück. Das Problem fängt also schon bei der Wassergewöhnung, sprich bei den Kleinsten, an. Und die Größten müssen das wissen. Damit die Freibadsaison eine gute wird.

Darauf hofft auch Hannelore Pfaff vom Förderverein des Freibads Gadderbaum. Sie mag zwar an die Erwachsenen den Appell „Aufpassen!“ richten, aber die Verantwortung dürfe nicht an die Allgemeinheit delegiert werden. Zu sehr sei ein Freibad auch ein Ort des Loslassens, des Vergnügens, des Entspannens. Sie mahnt: „Wir müssen am Beckenrand immer einen Schwimmmeister und zwei Rettungsschwimmer haben. Immer.“ Und es könne nicht mehr so laufen wie in vergangenen Sommern, als Eltern ihre Kinder am Eingang abgaben und tschüss sagten. Und im Bad dann die Probleme folgten. Pfaff sagt besorgt und verärgert: „Und diese Kinder saufen uns dann im Bad fast ab, das geht so nicht mehr.“

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Foto: Andreas Zobe – Text: Kurt Ehmke – Alle im Artikel genannten Personen sind mit der Veröffentlichung einverstanden.